Ukraine – Mai 2019
„Do you speak English?“ – „No!“ Sprach sie und lief davon..
Die Begrüßung in der Kiewer Metro war wohl kein gelungener Einstieg in unser langes Wochenende in dieser tollen Stadt…doch der Rest des Kurztrips wurde stetig besser und besser! Der Ausblick aus unserem Apartment, das direkt am Maidan-Platz gelegen war, auf den im Sonnenuntergang strahlenden Glockenturm der Sofienkathedrale entschädigte direkt für den schlechten Metro-Service! Da wollte Ursula sogleich noch einen kurzen Spaziergang machen, bevor wir uns die klanggewaltigen Wasserspiele am Maidan ansahen. Am folgenden Tag brachen wir früh auf, um uns das Kiewer Höhlenkloster anzusehen, das zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt. Es liegt auf einem Hügel am Fluss Dnepr und ist wahrlich beeindruckend. Die Uspenski-Kathedrale ist innen mit unendlich viel Gold verziert (No Photos!) und der Ausblick auf die untere Lawra war einfach atemberaubend! Ursula machte sich dann auch sofort auf die Suche nach den nahen und fernen Höhlen…. fand jedoch nur den Eingang zu den fernen Höhlen (No Photos!). Mit einer Kerze huschten wir im Schummerlicht also durch ebenjene und fanden etliche Glassärge, die von Betenden geküsst wurden…. sehr gruselig und befremdlich. Aber eine Erfahrung wert! Zurück am Maidan gönnten wir uns in Erinnerung an einen anderen tollen Urlaub köstliche Chatschapuri beim Georgier, bevor wir eine Ausstellung über Stahlherstellung besuchten und nochmal den Hügel hinauf stromerten, um Sofienkathedrale und das St. Michaelskloster zu bestaunen…so viele schöne Farben und soo viel Gold überall! Begeistert war Ursula auch vom vielen Grün in der Stadt und der Aussicht auf den Dnepr-Fluss und das Denkmal der Völkerfreundschaft vom Vladimir-Hügel aus. Am Abend besuchten wir dann eine Mysterytour, die nicht ganz mystery war, uns aber zu vielen schönen Plätzen gebracht hat: Funikular, St.Andreaskirche, ein Hexenhügel und der Stadtteil Podil. Vor der Tour konnten wir nochmal eine Fotoausstellung auf dem Maidan zum Euromaidan ansehen, der Ursula etwas Gänsehaut bescherte….. Die Aufstände hier sind erst gute 5 Jahre her…. Barrikaden und Aufstände über mehrere Monate bei denen 80 Menschen gestorben sind…. Die friedliche und entspannte Stimmung heute wirkt genau gegenteilig…. als wolle man dieses Kapitel endgültig hinter sich lassen.
Der eigentliche Grund unserer Reise nach Kiew sollte aber am Samstag stattfinden: ein Aufenthalt in Chernobyl und Pripyat. Nicht als Katastrophentourist, sondern um der Erfahrung und des Bewusstwerdens wegen, was 1986 hier geschehen ist und was die Auswirkungen sind. Keine Sorge, der Tagesausflug ist für ein Vögelchen strahlentechnisch in etwa so gefährlich, wie ein Flug nach New York…
Bei der Anreise in die 2h entfernte Sperrzone schauten wir zunächst einen Film über die Katastrophe, die Rettungsversuche und die Auswirkungen des Ganzen. Sehr beängstigend aber auch beeindruckend zu sehen, wie hier Menschen einmal wirklich die Welt mit dem Einsatz ihres Lebens gerettet haben. Mulmig war uns allen zumute, als wir am Kontrollposten aufgefordert wurden nun permanent langärmelig zu bleiben und immer dem Guide zu folgen. Den obligatorischen Geigerzähler am Gürtel ging es dann hinein in die Sperrzone und durch die kleine Stadt Chernobyl… noch heute leben hier einige Menschen, die die Sperrzone verwalten… 2000 Menschen arbeiten auch noch im Kraftwerk, um dieses zu erhalten bzw. rückzubauen… allerdings in 2 Wochen-Schichten, da die Strahlung an einigen Stellen über der Norm von bis zu 0,3µS liegt.
Der zweite Halt, das „Denkmal derer, die die Welt gerettet haben“ an der Hauptstraße, war sehr beeindruckend und bedrückend. Die Feuerwehrleute, die den ersten Brand gelöscht haben, wussten zunächst nicht, dass sie lebensgefährlicher Strahlung ausgesetzt waren… 2 starben kurz darauf an den Folgen, weitere 29 in den nächsten 3 Wochen.
Der nächste Stopp ist das Duga Radarsystem – ein Raketenabwehrsystem, das das berüchtigte Signal Woodpecker ausstrahlte, das zwischen 1976 und 1989 weltweit Radiofrequenzen störte. Es ist das letzte noch existierende seiner Art und man munkelt es sei auch zur Gedanken- und Wetterbeeinflussung errichtet worden. Ein wirklich beeindruckendes Gebilde, das auf Karten damals als Kinderferienlager getarnt wurde. Ganz in der Nähe liefen wir dann noch durch die alte Militärsiedlung, dessen Häuser mittlerweile von Bäumen und Sträuchern umzingelt und bewohnt sind. Ein bisschen aufregend war es für Ursula schon auf den zugewuchterten Pfaden zu pirschen und wir mussten uns regelmäßig an den Ernst des Ausflugs erinnern. :s Daraufhin näherten wir uns dem Reaktor… der Strahlenwert stieg dabei auf über 1 µS an… kein Ort um länger zu verweilen und die Aussicht auf den brandneuen Sarkophag zu genießen. Da die alte Schutzhülle nur eine Lebenszeit von 20-30 Jahren hatte, wurde dieses größte mobile Bauwerk der Welt erschaffen. 2 Milliarden € teuer wurde es erst Ende 2016 über die alte Schutzhülle gefahren und hält nun für ca. 100 Jahre. Dennoch sehr merkwürdig gerad mal ein paar Meter entfernt davon zu stehen :s
Weiter ging es in die Kantine…. um es vorab zu nehmen, das Essen wird von außerhalb des Sperrgebiets eingefahren…nach einem Strahlendetektor bekamen wir ein durchaus schmackhaftes und leckeres Mahl! Gestärkt fuhren wir dann in die verlassene Stadt Pripyat, um diese zu erkunden. 1986 lebten hier etwa 50.000 Menschen, davon 15.000 Kinder. Heute und die nächsten 10.000 Jahre lebt hier niemand mehr…überall verlassene Gebäude: ein Krankenhaus, eine Schule, ein Cafe am See, das Kino, die Kunstschule, das Rathaus, ein Hotel, das Kulturzentrum, am Hauptplatz, der nie eröffnete Rummel mit Riesenrad (und höchster gemessener Strahlung) und Autoscooter, ein Stadion und alter Kindergarten. Dann ging es auch schon wieder zurück in Richtung Kiew. Zwei Strahlenkontrollen bestätigten uns clean zu sein…. ganz vertrauen wollte ich diesen Geräten nicht und schon waren wir zurück in am Kiewer Bahnhof und weiter am Maidan-Platz für einen letzten gemeinsamen Abend.
Fazit
Die Stadt Kiew ist ein wunderschöner Ort mit vielen Sehenswürdigkeiten, hauptsächlich Kirchen, aber auch einer extrem friedlichen und offenen Stimmung, die uns allen super gefallen hat. Wir wollten gar nicht mehr zurück nach Deutschland! Der Aufenthalt in Chernobyl wird uns nicht so schnell aus dem Gedächtnis verschwinden. Unglaublich einprägsam, ein wenig abenteuerlich, aber auch der Ernst der Sache kam an dem Tag nicht zu kurz! Die Menschen in der Ukraine waren nach einem holprigen Start am Ende doch unendlich liebenswert, wenn man erst einmal verstanden hat, wie sie so ticken. Alles in allem ein fantastisches Wochenende mit wahnsinnig vielen verschiedenen Eindrücken und einem guten Gefühl das Unglaubliche gemacht zu haben…eine Reise nach Chernobyl!
23. Mai 2019 at 7:04
no photos….
23. Mai 2019 at 9:15
Wie immer lehrreich und interessant