Ruhrgebiet – August 2020
Als großer UNESCO-Fan wollte Ursula unbedingt mal ins Ruhrgebiet, um die Zeche Zollverein zu besichtigen. Deshalb packten wir kurzerhand unsere Sachen und fuhren los. Die Wahl der Homebase fiel aufgrund einer Cola-Dose aus den 90ern und eines wunderschönen darauf aufgedruckten VfL-Logos auf Bochum… warum auch nicht. J Nach einer kurzen Anfahrt erkundeten wir am Abend aber zunächst nur die nähere Umgebung des Hotels am Kemnader See.
Doch schon früh am nächsten Morgen brachen wir auf zur Zeche Zollverein, ehemals als größte und leistungsstärkste Zeche der Welt bekannt und heute Weltkulturerbe seit 2001.
Das Gelände wirkte am Morgen noch recht abweisend mit seiner geradlinigen Architektur und unübersichtlichen Struktur. Auf einer Führung wurden uns dann aber einige interessante Details vermittelt:
Hier läuft es ähnlich wie am Rammelsberg (siehe Harz – Juni 2020): Kohleförderung in Loren untertage, Stellwerk für den Schachtaufzug, Entleeren auf Bänder, sortieren nach Größe… allerdings hier kein Erz, sondern Kohle. Über eine Kohlenwäsche wird die Kohle über das Flotationsverfahren vom schwereren Gestein getrennt. Der Schacht XII, an dem wir uns aufhielten ging 1932 in Betrieb, allerdings wurde hier wirklich nur die Kohle gefördert… die Kumpel mussten über ältere Schächte in 1.100m Tiefe einfahren. Untertage befinden sich bis heute 120 km Schienennetz und es konnten damals bis zu 12.000t pro Tag gefördert werden. 1986 war dann, als letzte von ehemals 300 Zechen Essens, Schicht im Schacht…
Weiter ging es dann durch den Skulpturenwald (Skulpturen haben wir keine gefunden?) zur alten Kokerei. Auch hier ließen wir uns bei einer Führung mit Infos versorgen. Ursula hat gelernt, dass in der Kokerei bis 1993 in 304 Öfen auf 600m Länge Kohle zu Koks verarbeitet wurde, die dann eine höhere Brenntemperatur hat und zur Herstellung von Eisen notwendig ist. Bei 1200°C wurde in 18-19 Stunden die Kohle luftdicht erhitzt, sie kam dabei also nicht mit Sauerstoff in Verbindung. Die Öfen waren nur 45cm schmal, sodass die schlecht wärmeleitende Kohle auch durcherhitzt werden konnte. Beim Ausstoßen brannte der Koks und musste im Löschturm abgelöscht werden. Die Öfen wurden von oben beschickt und nach hinten ausgestoßen. Besonders spannend fand Ursel eine geöffnete Ofenbatterie, an der man ins Innere der Öfen blicken und sich so den Vorgang besser vorstellen konnte. Und das alles nur, weil hier einmal jemand für eine Ausstellung ein Riesenrad durch die Öfen gebaut hat….. verrückt…es funktioniert aber leider nicht mehr. :/
In Anbetracht der unglaublichen Hitze und mehrerer dadurch verursachter Matschköpfe, fuhren wir im Anschluss aber erst mal zur Erholung ins Hotel zurück, bevor es in den halbwegs angenehmen Abendstunden nochmal zur Halde Hoheward bei Recklinghausen ging.
Über 500 Stufen hüpfte Ursula hinauf bis zur Plattform, auf der eine riesige, leider nicht funktionstüchtige Sternwarte steht. Diese war ganze 2 Monate für Besucher zugänglich, bevor sie aus statischen Gründen gesperrt wurde.
Baukosten: 2 Mio. €, Gutachterkosten: ca. 1 Mio. €, Empfehlung: Abreißen und neu bauen…….nunja :s Beeindruckend ist das Gebilde trotzdem und die Aussicht auf den Pott der Wahnsinn. Da wusste der Vogel gar nicht, wo er zuerst hinschauen sollte.
Müde fiel sie am Abend ins Nest, wurde aber schon früh von 2 benachbarten Hähnen geweckt, die sich einen Kräh-Wettkampf lieferten……das war für sie doch etwas zu viel Macho-Gehabe…diese Hähne wollte sie absolut nicht kennen lernen!
Deshalb genoss sie am Vormittag die Ruhe in der zuckersüßen Hattinger Altstadt. Das Rathaus, das Bügeleisenhaus und viele kleine Gässchen wurden von uns bewundert, doch die Hitze vergönnte uns die geplante Wanderung um die Burg Blankenstein und wir fuhren direkt ins Bergbaumuseum. Dort erfuhren wir so allerlei über die Geschichte des Bergbaues, speziell in der Ruhr-Region und konnten bei einer Führung untertage etwas Abkühlung erfahren.
Das Bergwerk hier ist aber seit jeher nur ein Schaubergwerk mit ca. 20m Tiefe, normalerweise wird im Ruhrgebiet in 1.000-1.500m Tiefe und bei 50-60 Grad (vor Bewetterung) Kohle abgebaut. Durch die Bewetterung konnten die Temperaturen untertage auf angenehme 40 Grad gesenkt werden. Dass Frauen bis in die 80er Jahre im Bergbau tabu waren, hatte deshalb hauptsächlich damit zu tun, dass die Bergleute oft wenig bekleidet bis nackt arbeiteten. Außerdem ist es für zarte Frauenohren sicher viel zu laut gewesen: 110db hatte so ein Bohrer im Leerlauf…. bei der Arbeit also noch viel mehr. Böse Zungen behaupteten natürlich die Frauen brächten untertage Unglück :s Im Zweiten Weltkrieg nahmen Frauen aber immer wieder die Stellen Ihrer sich im Krieg befindenden Männer ein. 1944 wurde im Ruhrgebiet dann der Kohlehobel erfunden, der später zum Walzenschramlader entwickelt wurde und die Arbeit untertage etwas erträglicher vor allem aber ertragreicher machte. 2018 wurde mit der Zeche Prosper-Haniel die letzte Zeche in Deutschland nach fast 400 Jahren Bergbaugeschichte im Pott geschlossen.
Mit so vielen Infos marschierten wir im Anschluss in die Bochumer Innenstadt, um ein Eis zu essen….. also…. joar…richtig schön dort, ähhh, also nicht ganz so 😉 aber ziemlich heiß!
Zum Glück stand heute nur noch ein entspanntes Treffen mit einer Neuseeland-Bekannten aus Castrop-Rauxel auf dem Plan! Und wer kann schon sagen mal in Castrop-Rauxel gewesen zu sein :]
Den letzten Tag im Ruhrgebiet griffen wir spontan und wetterbedingt auf ein Notfallprogramm zurück…und es hat sich allemal gelohnt!
Das LWL Freilichtmuseum in Hagen hat handwerklich so einiges zu bieten! Ein Bürstenmacher, ein Nagelschmied und ein Buchdrucker haben uns über ihr Handwerk und einige Besonderheiten berichtet…. dass Pferdehaar von der Mähne nur für die Innenräume geeignet ist zum Beispiel. Außerdem waren überall spannende Infos über alte Berufe in kleinen und vor allem meist kühlen Fachwerkhäusern zu finden, wie beispielsweise über den Kuhschellenschmied, den Sensenmacher, den Drahtzieher oder den Stellmacher…. wahnsinnig kurzweilig und interessant und das Gelände ist richtig liebevoll angelegt! Gegen Ende hat Ursel dann wegen körperlicher und geistiger Erschöpfung ein ganzes Rosinenbrot aus der Bäckerei gegessen und sich mit einem alkoholfreien Bier gekühlt.
Nach einer kurzen Mittagspause kam dann das absolute Highlight unserer Kurzreise: Duisburg! Dort hat es uns besonders gut gefallen… ein kurzer Spaziergang am Innenhafen mit leckerem Essen und eine lange Fackelführung im Landschaftspark Duisburg Nord!
Dieser wurde 1994 auf dem Gelände des ehemaligen Hüttenwerks Meiderich eröffnet und beherbergt bis heute viel erhaltene Industriestruktur, aber auch ganz viel neues Grün!
Gleich zu Beginn der Führung (noch ohne Fackeln) stiegen wir mit zitternden Knien unendlich hohe Stufen auf den Hochofen 5 hinauf, bis wir auf der Plattform ca. 45m über der Erde noch die letzten Reste des Sonnenlichts erwischten und eine grandiose Aussicht auf die gesamte Umgebung bis nach Düsseldorf genießen konnten. Im Hochofen selbst wurde bei 2000 Grad bis 1985 Eisenerz und Koks zu Roheisen verarbeitet, ca. 1000t am Tag. Heute gibt es nur noch 7 aktive Hochöfen im Ruhrgebiet. Wieder mit sicherem Boden unter den Füßen bekam Ursula eine kleine Fackel in die Hand und wir starteten den Rundgang über das Gelände: die alten Möllerbunker, die anderen Hochöfen von bunten Farben angestrahlt, die Alpenvereinshütte des DAV Duisburg, die nach München die zweitgrößte Sektion in Deutschland ist (-u-) und der riesige Gasometer mit 41m Durchmesser und 13m Höhe. In diesem kann man mittlerweile Tauchen, denn ein kleiner Tauchverein (8 Mann) hat den verdreckten Gasometer mit seinen 21 Mio. Litern Brackwasser entleert, 2,5 Jahre (!) gereinigt und wieder befüllt. Heute liegen sogar ein Flugzeug, ein Schiffswrack, 3 Autos und eine Telefonzelle am Grund…. ziemlich verrückt aber auch ziemlich cool!
So fuhren wir den weiten Weg zurück nach Bochum und den krähenden Hähnen und ließen diese tollen Tage mit so vielen Infos zu Kohle und Eisenherstellung nochmal Revue passieren…..Im Endeffekt kann man sagen: Ganz schön, dieser Ruhrpott!
Fazit:
– Das Ruhrgebiet ist ziemlich grün!
– Ein abendlicher Spaziergang auf einer Halde ist wunderschön!
– Duisburg ist nicht so hässlich, wie sein Ruf vermuten lässt.
– August ist nicht die beste Zeit für einen Ausflug in Deutschland. 😀
– Die Führungen auf Zollverein waren spitze, sonst war das Gelände aber recht ausgestorben, ggf. weil unter der Woche.
– Es gibt auch schöne Altstädte im Ruhrgebiet.
– Freilichtmuseen sind spannender als gedacht!
– Der Landschaftspark Duisburg Nord insbesondere die Fackelführung ist ein absolutes Highlight!
13. August 2020 at 22:25
Toll, vielen dank für die vielen Infos!